RESI-Volxheim
/ Rechenschwächeinstitut, 55546
Volxheim,
Kreuznacherstr.22-24, Tel.: 06703-961000 / Tel.-Sprechstd.:
Mo-Do 12-13Uhr
IML-Essen
/ Institut für mathematisches Lernen, 45127 Essen, Kennedyplatz
8, Tel.: 0201-1055844 / Tel.-Sprechstd.: Mo-Do 13-14 Uhr
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Schipper,
Ihren Artikel "Das Dyskalkulie-Syndrom" in der "Grundschulzeitschrift
158/2002" haben wir zur Kenntnis genommen. Allerdings vermissen wir darin
schlagkräftige Argumente. Sie operieren stattdessen mit suggestiven Ausmalungen
und Beispielen, um Ihr Publikum von LehrerInnen und Eltern in Ihrem Sinne
zu beeindrucken. Haben Sie das nötig? Ist das Ihre Absicht?
Einige Ihrer Kritikansätze und Forderungen sind es durchaus wert, ordentlich
begründet zu werden, finden wir. Sie selbst tun dies nicht. Durch Ihr
Vorgehen im vorliegenden Artikel entsteht für uns - und für andere
LeserInnen wohl auch - der Eindruck, daß Sie sich nicht vernünftig
über die angesprochenen Probleme auseinandersetzen wollen, sondern einen
ideologischen Abgrenzungskrieg führen wollen, der die mathematisch-pädagogische
Welt in öffentlich-rechtlich ist gleich gut + kostenlos + wissenschaftlich
+ verbesserungsfähig versus privat ist gleich schlecht + kostenträchtig
+ ideologisch + unfähig einteilt. Diese Aufteilung sollen die LeserInnen
verplausibilisiert bekommen - weiter nichts. Ein wenig erinnert dies an die
Auseinandersetzung, die wir vor ziemlich genau drei Jahren mit Professor Jens
Holger Lorenz, Ihrem werten Vorgänger, über die auf seiner Homepage
der PH-Ludwigsburg veröffentlichte Elternberatungsseite "Einige Informationen
zu Thema Rechenschwäche" führten (Internetlinks in den Literaturangaben).
Der Nachhall dieser Debatte ist in Ihrem Artikel deutlich zu vernehmen.
Sie schreiben zu Anfang:
Presse,Rundfunk und Fensehen sowie nicht zuletzt die Veröffentlichungen kommerziell arbeitender "Dyskalkulie-Institute" vermitteln Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern den Eindruck, dabei handele es sich um eine Krankheit, die der außerschulischen "Therapie" bedarf. Im Gegensatz dazu ist dieser Beitrag ein Plädoyer für die Stärkung der schulischen Kompetenzen im Umgang mit Rechenstörungen, sodass die Förderung und die noch wichtigere Prävention allen Kindern zugute kommt. ("Die Grundschulzeitschrift" 158/2002, S.48-51)
Warum ist "Dyskalkulie"
keine Krankheit? Kennen Sie die Argumente dagegen? Was ist Ihre alternative
Diagnose der Misere mathematischer Lehre an den Grundschulen? Ist Ihre "Rechenstörung"
ein "als ob" Krankheitsbegriff? Was ist eigentlich bei der "Rechenstörung"
die Störung? Können Sie das Ihren LeserInnen erläutern? Werden
dadurch, daß "Dyskalkulie" einen neuen Namen bekommen hat
- "Rechenstörung" - tendenziell die Kompetenzen der Schule
gestärkt und Förderung und Prävention erhalten Priorität?
Wie wäre es, wenn Sie zunächst einmal die Frage beantworten würden,
wie es zu den vielen "Rechenstörungen" in der Schule überhaupt
kommen konnte und warum derzeit keinerlei Abhilfe innerhalb der Schulen in
Sicht ist?
Ein Plädoyer für kompetente innerschulische Förderungen als
fiktiven Gegensatz gegenüber außerschulischer Förderung
ist, wie Sie hier vorführen, billig zu haben. Man schreibt es einfach
mal als Leitsatz hin und versucht es zu verplausibilisieren! Schließlich
soll man glauben, die Existenz außerschulischer Förderung sei tendenziell
eine Verhinderung der Entwicklung innerschulischer Kompetenzen! Für uns
ist das nicht nachvollziehbar. Wir fanden in Ihrem Artikel keine Argumente
zur tatsächlichen Erklärung der Misere mathematischen Unterrichts.
Wir fanden aber Folgendes:
Sie beginnen den Aufbau eines merkwürdigen Bildes von gewinnsüchtigen
Therapieinstituten, ratlosen aber hilfebedürftigen Eltern und hilflosen
LehrerInnen. Sie schreiben sinngemäß: Therapieinstitute haben ein
Etikett parat, daß Sie als Lösung anbieten, das etliche teure Therapiestunden
nach sich zieht. Übrigens: Das Etikett "Dyskalkulie" wurde
von Mathematikdidaktikern, Kinder- und Jugendpsychiatern, verbeamteten Psychologen
und Juristen erfunden. Es wird von Behörden und Schulen als Nachweis
dafür verlangt, Kinder vor den "segensreichen Wirkungen" des
Ausleseunterrichts in der Schule und seinen Folgen zeitweise ausnehmen zu
können und dann vielleicht sogar eine Förderung/Therapie zu bezahlen!
Jenseits einer Beurteilung der seltsamen Etikett-Diagnose, die sie nun
auch im privaten Therapeuten-Bereich funktionalisiert sehen, behaupten
Sie, dieses Etikett würde nun tatsächlich erst einen Fall von "Dyskalkulie"
aus den Kindern machen, wo sie doch vorher bloß "auffällig"
waren. Daß die "drohende seelische Behinderung" für ein
Kostenübernahme entscheidend ist, kritisieren Sie nicht daran, daß
es Zustände in Bildungsinstitutionen und Rechtswesen gibt, die solche
Begründungen für Förderung nötig machen. Die Realität
von psychischen und sozialen Schädigungen durch Schulversagen bestreiten
Sie damit indirekt ebenfalls. Sie bemängeln bloß diejenige Wirkung
der Etikettierung, die für Sie darin besteht, daß womöglich
jemand durch seine Arbeitsleistung mit der Förderung "rechengestörter"
Kinder seinen Lebensunterhalt verdient. Da steht die Wirklichkeit nun tatsächlich
auf den Kopf. Wenn schon die Schulen den betroffenen Kindern nicht helfen
können, zugleich aber die schulischen Bedingungen für die notwendige
Entstehung von "Rechenstörungen" aufrechterhalten bleiben,
sehen wir durchaus in einer guten außerschulischen Förderung eine
vorläufige Perspektive - auch wenn dies mit Kosten verbunden ist.
Sie machen folgenden Vorschlag:
Die Haushalte vieler Kommunen werden durch die gesetzlich vorgeschriebene Finanzierung von ambulanten Eingliederungsmaßnahmen nach §35a KJHG (darunter eben auch die "Therapie bei Dyskalkulie") immer stärker belastet. In einigen Städten verdoppeln sich die Ausgaben von Jahr zu Jahr. Man stelle sich bloß vor, Schul- und Sozialministerien könnten sich darauf enigen, diese öffentlichen Mittel nicht in den sekundären Reparaturbetrieb zu investieren, sondern sie primär für die Stärkung der Lehrerausbildung und vor allem der innerschulischen Förderung von Kindern zu verwenden! Wie vielen Kindern bliebe dann wohl eine "Dyskalkulie-Karriere" erspart?!("Die Grundschulzeitschrift" 158/2002, S.48-51)
Jahrzehnte mathematikdidaktischer
Unterrichtsverbesserungen konnten die von Ihnen so genannten "Rechenstörungen"
nicht verhindern. Warum sollte nun ausgerechnet die Umschichtung privater
Honorare (aus kommunalen Kassen) für Dyskalkulietherapeuten in schulische
Investitionen gegen "Rechenstörungen" ausgerechnet dort, wo
die "Dyskalkulie/Rechenstörung" entsteht und bisher weder erkannt
noch richtig angegangen wird, gute Förderungen hervorbringen? Vielleicht
ist dies gar keine Frage des Geldes, sondern zunächst einmal eine prinzipielle
Systemfrage schulischen Unterrichts - speziell des mathematischen Anfangsunterrichts?!
Ihre eigenen Forschungen dürften darüber einige Erkenntnisse enthalten.
Uns ist es ziemlich gleichgültig, ob das diskutierte Problem nun Rechenstörung
oder Rechenschwäche oder Dyskalkulie heißt. Eine korrekte mathematische
Lernstandsanalyse bzw. Förderdiagnostik hat über den Inhalt der
Probleme jedes betroffenen Kindes die Details zutage zu fördern. Der
"gewinnsüchtige Therapeut, der nur Etiketten verleiht", entstammt
zunächst einmal Ihrer schlechten Meinung von "den Anderen",
die sich mit Ihrem Thema beruflich befassen. Ein sachgerechtes Argument
gegen solche Etiketten-Diagnostik und deren Anwender haben Sie damit jedenfalls
nicht formuliert. Sie setzen damit allerdings eine, in der Sache unkritische,
vulgäre Legende von bösen Therapeuten in die Welt. Wollen Sie das
so haben oder können Sie nicht anders?
Kürzlich erhielten wir von der Mutter eines "rechenschwachen"
Kindes, folgende Information: Der fördernde Sonderschullehrer, der das
Kind an der Grundschule betreut - wozu wir der Mutter übrigens geraten
hatten - behauptete keine Lernstandsanalyse mit dem Kind machen zu können,
weil er dafür "keine Formulare" (?) zur Verfügung
habe! Woher weiß dieser Lehrer eigentlich, was er bei diesem Kind wie
fördern soll, wenn er noch nicht einmal imstande ist, die mathematischen
Details der vorliegenden "Rechenstörung" (formlos/sachlich)
zu analysieren? Dies ist kein Einzelfall und auch keine Legende! Diese
Zustände an den Grundschulen und Sonderschulen halten wir für ein
echtes Problem für die betroffenen Kinder und Eltern!
Sie behaupten, die Stigmatisierung und Etikettierung mit "Dyskalkulie"
sei das eigentliche Problem. Wir möchten trotzdem gerne von Ihnen wissen,
woher eigentlich die "mathematische Störung" Ihrer Meinung
nach kommt und worin sie besteht. Oder wollen Sie ernsthaft behaupten, die
Rechenschwierigkeiten gäbe es vorher gar nicht und die Stigmatisierung
würde sie erst erzeugen? Den Widerspruch zwischen der von Ihnen behaupteten
Selbsterzeugung des stigmatisierenden Teufelskreises und "seiner Wirkung"
der Rechenstörung, die doch eigentlich der Ausgangspunkt für die
kritisierte Etikettierung war, lösen Sie jedoch nicht auf.
Ihr Teufelskreis-Argument soll, im Sinne von Stigmatisierung, die Bezeichnung
"Dyskalkulie" zurückweisen, ohne sie ihrem Inhalt nach kritisieren
zu müssen. Interessant wäre doch gerade nachzuweisen, daß
und inwiefern durch eine anfängliche "leichte Rechenstörung"
ein Teufelskreis des Versagens in Gang gesetzt wird, der dann generalisierend
auf die gesamte Schulkarriere wirkt - und zwar unabhängig davon, ob private
Therapeuten mit im Spiel waren oder nicht (Autorenkollektiv 1998, Steeg 2002/Homepage
des IFRK e.V.)! Ihnen ist ein solcher Nachweis offenbar nicht die Mühe
wert. Ihr Teufelskreis-Argument, das Sie übrigens kongenial bei Betz/Breuninger
(1982) wiederfinden können, leistet genau die zirkuläre Verpsychologisierung
von Rechenschwierigkeiten, die von vielen Lern-Therapieinstituten als Dyskalkulie-Therapie
umgesetzt wird - natürlich ohne "zuviel" mathematische Lehr-/Lerndialoge.
Fragen Sie mal beim FIL (Fachverband-Integrative-Lerntherapie) nach. Man wird
sie dort mit offenen Armen empfangen und sich zugleich berechtigterweise von
Ihnen völlig mißverstanden fühlen.
Unsere Kritik des Stigmatisierungszirkels der "Rechenschwäche":
Durch den Eigenschaftsstatus der Rechenschwäche als Schwäche erscheint diese wie eine Krankheit, die dem Lernsubjekt zugerechnet wird - selbst dann noch, wenn der Anwender des Rechenschwächebegriffs dies dementieren würde (Grissemann 1996, S.12-23). Im theoretischen Streit darum, ob die Schwäche an den Kindern persönlich haftet oder nur ihr systemisches Merkmal ist, geht jedoch völlig unter, daß in der schulischen Konkurrenz Schuldfragen und deren Handhabung bereits in den amtlichen und gewohnheitsmäßigen Konkurrenz- und Karrierebedingungen geregelt sind.
Stigmatisierungsverbote weisen sich insofern als affirmative moralische Rettung der Ehre der Opfer von Ausleseunterricht aus. Sie helfen weder, die Gründe für Lernversagen zu klären und zu beseitigen, noch Definitionsprobleme für spezielle Schwächen zu lösen. Stigmatisierung ist der Titel für die Betreuung der als notwendig anerkannten Opfer einer Konkurrenz. Wenn man die Verlierer nicht Versager nennt, hat man ihnen demnach schon geholfen. Die mit dem Stigmatisierungsverbot geleistete moralische Selbstkritik stützt eine falsche Annahme. Es wird behauptet, Lernversagen sei ein Problem des Selbstbewußtseins, behebbar durch ein zusätzliches Quantum Lob! Das Stigmatisierungsverbot verpsychologisiert die Schädigungen durch die Auslese. Darin bietet es den entsetzten Betrachtern der Auslesefolgen einen Ersatz für Ursachenkritik. (Steeg 2000/ZDM)
Unsere Kritik des Dyskalkuliebegriffs, ein Begriff den übrigens vor allem staatlich geförderte Wissenschaftler wie Ihr Kollege Jens Holger Lorenz immer noch aufrechterhalten und weiterentwickeln, wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Zur Kritik am multikausalen Rechenschwächebegriff (Dyskalkulie oder Rechenstörung) zitieren wir:
Rechenschwäche - ihre begrifflichen Widersprüche - wurde bereits in früheren wissenschaftlichen Arbeiten diskutiert (Meyer 1993, Steeg 1996, Röhrig 1996). Einige Vertreter der deutschsprachigen Dyskalkulieforschung widersprechen solchen Auffassungen (Grissemann 1996, S.11-26, Lorenz 1997, S.67).
Ein Verweis auf besondere Typen von Rechenschwächen - deren vielfältige Ursachen, Bedingungen und Voraussetzungen - wird bei den meisten Autoren als zentrale Aussage dafür benutzt, was die Rechenschwäche selbst als Oberbegriff ihrer vielfältigen Erscheinungsformen eigentlich sei. Offensichtlich ist es - selbst nach Jahrzehnten der Forschung - nicht möglich, eine klare Aussage über das Wesen der Rechenschwäche zu machen. So verbleibt die als wirksam behauptete Kraft, die sowohl Zahlverständnis als auch das Rechnen verhindert, im Dunkel der Multikausalität, Multifaktorialität sowie der Komplexität eines Schüler-Umwelt-Beziehungs-Systems: (es folgen Definitionen: Wember, WHO und Wolfensberger ... - Anm. d. Verf)
Auch der Verweis auf die Intelligenzunabhängigkeit, Vielschichtigkeit, partielle Eingrenzbarkeit und individuelle Verschiedenheit der Fehler, die rechenschwache Individuen machen, kann nicht die Bestimmung der implizit behaupteten Gemeinsamkeit Rechenschwäche ersetzen. Man könnte als hypothetische Allgemeinheit des Rechenschwächebegriffs behaupten, er sei die quantitative Steigerung von Lernschwierigkeiten in Mathematik, ursächlich zugespitzt auf eine den Betroffenen innewohnende Schwäche: Die individuell geortete Kraft, die man Rechenschwäche nennen will. Sobald jedoch in einem Forschungsansatz über Rechenschwäche die Frage, was diese innewohnende Kraft sein könnte, zur Beantwortung ansteht, zieht der soeben behauptete hypothetische Oberbegriff seine Allgemeinheit komplett in Zweifel und verweist auf die vielen besonderen Beziehungen, Äußerungen und Einzelfälle. Um einen Oberbegriff Rechenschwäche formell aufrechterhalten zu können, wird auf die Multifaktorialität des Bedingungsgefüges von Lernprozessen verwiesen (Grissemann/Weber 1990, S.30-33). Faktisch bedeutet dieses sozialwissenschaftiche Konstrukt, daß das Phänomen der Rechenschwäche, jenseits einer Analyse von kausalen Zusammenhängen, als Ausdruck eines schicksalhaft vorgegebenen Bildungs- und Erziehungsgefüges betrachtet wird - quasi als Ausdruck einer notwendigen Gewordenheit von unbestreitbaren Tatsachen. Eine Spirale von wertneutralen bzw. zweckneutralen Bedingungshierarchien bietet sich der Forschung zur Untersuchung dar, mit der produktiven Folge: es darf ungeniert alles systematisiert und miteinander korreliert werden - gleichgültig gegenüber der Widersprüchlichkeit verschiedenster Ursachenbehauptungen. Als Standpunkt bleibt die beliebig interpretierbare und gegenstandsferne Aussage über die unwiderlegbare Allgemeinheit der Rechenschwäche stehen: Rechenschwäche ist der Ausdruck von allem, was damit zu tun gehabt haben könnte - Auftakt für jede beliebige Art empirischer Fragestellungen: ... (es folgt: Zitat Meyer 1993 - >Anm. d. Verf.) (Steeg 2000/ZDM)
Vielleicht äußern
Sie sich einmal dazu. Die vollständige Kritik finden Sie in dem genannten
Artikel.
Zu Ihrem Fallbeispiel Florian:
Sie beschreiben einen Fall und kritisieren wiederum daran, daß hier
ein Fall abgewickelt wurde. Folgende Fragen wären zu stellen gewesen:
Welche inhaltlich-mathematische Diagnose hat es gegeben, wenn es überhaupt
eine gab? Wie erfolgreich oder nicht ist die Therapie in dem privaten Institut
verlaufen? Welche Ziele aus einer Förderdiagnose/Lernstandsanalyse abgeleiteten
Ziele sind nicht erreicht worden? Was haben Sie in ihrem Institut in Bielefeld
dann aus welchem Grund anders gemacht und wie hat sich dies ausgewirkt? Alle
diese Fragen stellen Sie erst gar nicht. Sie wollen nur darauf hinaus, daß
Sie einen Fall aus Ihrer Praxis kennen, wo ein kommerzielles Institut, womöglich
jahrelang, ein Kind als Fall behandelt hat, und nichts kam dabei heraus. Dann
kam es zu Ihnen und siehe da, es lernte in zehn Stunden alles, was es brauchte.
Mag sein, daß es genau so war. Vielleicht hatte aber auch das Kind in
dem kommerziellen Institut schon fast alles gelernt und brauchte bei Ihnen
nur noch letzte Verknüpfungen herzustellen. Vielleicht sind Sie auch
überhaupt einem Irrtum aufgesessen und haben es hinterher gar nicht mehr
erfahren? Vielleicht war das Kind gar nicht so "rechengestört"
wie viele der anderen "Rechengestörten". Ihr Fallbeispiel kann
gelaufen sein wie es will. Sie suggerieren, daß alle Kinder, die zu
Ihnen kommen, bei Ihnen deshalb leicht lernen, weil Sie bei Ihnen nicht als
Fälle betrachtet werden. So argumentiert in irgendeiner Form noch jeder
geschäftstüchtige Scharlatan, der seine "erfolgreichen"
Therapien erfolgreich verkaufen will - zumindest erfolgreicher als alle anderen
Mitbewerber! Haben Sie das nötig?
Solche Fälle, wie Sie sie hier beschreiben (10-Stunden-Fall), würden
bei uns nicht für eine Therapie in Frage kommen. In unserer Beratung
erklären wir den Eltern, wie sie in solchen Fällen selbst oder mit
pädagogischer Unterstützung den Fall mit einfachen Mitteln bereinigen
können. Durch eine sorgfältige Eingangsdiagnostik können wir
die Eigenheiten des Einzelfalles genau feststellen und die Eltern entsprechend
beraten. Wir bilden gewissermaßen die Eltern soweit fort, daß
zumindest eine verständige Betreuung ohne Therapie, aber meist außerhalb
der Schule möglich ist. Dies kostet für Diagnose, Beratung und Bericht
pauschal 300 €.
An einer Stelle Ihres Artikels beschreiben Sie ehrlich die beklagenswerten
Zustände mathematischen Grundschulunterrichts ...
Lehrerinnen und Lehrer und Schule insgesamt sind bei solchen Problemen häufig hilflos. Noch immer gibt es viele Grundschullehrerinnen und -lehrer, die Mathematik unterrichten, ohne eine entsprechende Ausbildung erhalten zu haben. Selbst diejenigen, die in der ersten Lehrerausbildungsphase Mathematik studiert haben, hatten in der Regel nur selten Gelegenheit, etwas darüber zu erfahren, wie Rechenstörungen erkannt werden können und - vor allem - wie präventiv gearbeitet werden kann. Fehlende Souveränität kann - wie das Beispiel von Florians Lehrerin zeigt - dazu führen, dass die formalen Vorgaben (z. B. Lehrpläne) umso stringenter eingehalten werden. ("Die Grundschulzeitschrift" 158/2002, S.48-51)
... aber nur um gleich im nächsten Absatz den kommerziellen Feind schulischer Förderung, der die Situation schamlos ausnutzt, ans Licht zerren zu können:
Das Angebot an Lehrerfortbildungen zum Thema Rechenstörungen ist nicht sehr groß. Die Schwierigkeit, fachkundige Referentinnen bzw. Referenten für dieses Thema zu gewinnen und die angespannte finanzielle Situation in der Lehrerfortbildung führen in zunehmendem Maße dazu, dass kommerziellen Einrichtungen die Gelegenheit gegeben wird, staatlich verantwortete regionale Lehrerfortbildungen durchzuführen. Manche nutzen die Chance, offen für ihr "Lerntherapeutisches Zentrum" zu werben und über solche Fortbildungen ihre Klientel zu rekrutieren. Selbst zentrale Lehrerfortbildungseinrichtungen einzelner Bundesländer akzeptieren inzwischen solche Werbeveranstaltungen für kommerzielle "Dyskalkulie-Zentren" als staatliche Lehrerfortbildung.("Die Grundschulzeitschrift" 158/2002, S.48-51)
Was soll man dazu sagen?
Wer privat Dyskalkuliefortbildungen anbietet will nur Geld verdienen!
Alle verbeamteten Lehrer, die als Fortbilder auftreten, sind zwar nicht
kompetent aber guten Willens, weil schon vom Staat mit Gehalt versorgt!?
Wo war hier das Argument für oder gegen die Qualität einer Fortbildung?
Haben Sie vielleicht ein taugliches inhaltliches Argument gegen die Fortbildung
xy von Herrn und Frau yz, außer (?) daß sie damit ihren Lebensunterhalt
bestreiten, was Ihnen offensichtlich sehr unseriös und abwegig, vielleicht
sogar verbraucherschädlich vorkommt? Dank der Intervention/Beratung durch
Sie und Herrn Lorenz ist bereits sichergestellt, daß in Rheinland-Pfalz
LehrerInnen keine Fortbildungen von privaten Dyskalkulietherapeuten mit staatlichen
Geldern finanziert bekommen! Trotzdem gab es bisher ca. 150 LehrerInnen, die
auf eigene Kosten Fortbildungen im RESI-Volxheim in Anspruch genommen haben.
Sie könnten, wenn Sie das wollten, die Qualität dieser Fortbildungen
überprüfen. Und überhaupt würde uns interessieren, was
denn eigentlich dagegen spricht, daß fachkundige private Fortbilder
für LehrerInnen tätig werden, "obwohl" sie sich ihre Arbeit
bezahlen lassen und "obwohl" vielleicht der eine oder andere Klient
dadurch von LehrerInnen zu einem kompetenten privaten Therapeuten geschickt
wird. Sehen Sie vor lauter Vorurteilen gegen "die Privaten" die
von Ihnen selbst kritisierten schulischen Mängel und Mißstände
nicht mehr oder glauben Sie, daß alleine der Status des Fortbilders
- privater Dyskalkulietherapeut - jede Beurteilung der Inhalte
solcher Fortbildungen erübrigt?
Kommen wir zum Therapeuten TÜV. Ihr Vorschlag ist gut. Er wird bereits
in Ansätzen umgesetzt: TÜV-Akademie (NRW) in Zusammenarbeit mit
der Evangelischen Fachhochschule Bochum. Gibt es bei Ihnen an der UNI-Bielefeld
eine vergleichbare Qualitätssicherung für Therapeuten? Hier bieten
wir gerne auch für andere Projekte unsere Zusammenarbeit an. Umgekehrt
werden wir uns auch ohne Einladung einmischen, falls solche Bestrebungen an
uns vorbei betrieben werden sollten.
Zurück zu Ihrem Mangel an inhaltlicher Argumentation:
Daß Wahrnehmungsübungen, Ergotherapie, Selbstbewußtseinstraining,
Psychotherapeutische Intervention, NLP, Kinesiologie, Tomatis, Bachblüten
oder auch Stimulantien usw. keine "Rechenstörung" (wir übernehmen
hier Ihr neues/altes "Ersatz-Stigma") beseitigen können, haben
Sie nicht nachgewiesen, obwohl Sie da unserer Meinung nach völlig recht
haben. Wir kennen die richtige Kritik an solchen ideologischen Modellen für
Therapiekonzepte und sind gerne bereit sie Ihnen zu erläutern, wenn Sie
es wollen (Steeg 2000/ZDM, Thiel 2001, Steeg 2002/Homepage des IFRK e.V.).
Wir würden Sie bitten diese Kritik auch einmal Ihren Studenten zur Diskussion
zu stellen:
Man koppelt "das Problem" - z.B. die Lernschwierigkeiten von Kindern beim Erlernen von Zahl und Rechnen - inhaltlich von dem ab, worin es besteht - z.B. nämlich von dem konkreten mathematischen Denken und dem Wissensstand der sogenannten rechenschwachen Grundschulkinder. Das Problem erscheint in der so hergestellten theoretischen Ausgangslage dem Betrachter als grundlos bzw. unerklärlich. Dann aber "entdeckt" man etliche plausible Gründe für Lernschwierigkeiten aller Art in diversen Voraussetzungen des Körpers, der Wahrnehmung, der Denkgewohnheiten, der sozialen Umwelt, der Vererbung, der Begabung und Neigungen, sowie der psychischen Konstitution der Kinder (vgl. Thiel 2001). Weitere Sphären der Begründung könnten ebenfalls zusätzlich plausibel gemacht werden, wenn jemand sich davon einen Nutzen oder auch nur eine "geistige Versöhnung mit der Wirklichkeit" verspricht. Gründe und Zusammenhänge für die Existenz und Wirksamkeit angeblicher Festlegungen erscheinen als zwingend, aufgrund der Normabweichung, die durch schulische Auslese bereits manifestiert wurde. Die schulisch hergestellte "Abweichung" wird damit zwar nicht geklärt, aber der logische Zirkel der zu verplausibilisierenden Notwendigkeit wird geschlossen. In frecher Ignoranz gegenüber den nicht verstandenen Lerninhalten schreibt man damit den Kindern eine angeblich an ihnen auffindbare "Mathe-Versagereigenschaft" zu. Das alles macht denjenigen nicht stutzig, der sich geistig bereits vollkommen auf Konkurrenz und Auslese als schicksalhafte Karrierevoraussetzung und vermeintliches intellektuelles "Lebensmittel" eingelassen hat. (Steeg 2002/Homepage des IFRK e.V.)
Wir haben schon immer in Gesprächen und in unserer Öffentlichkeitsarbeit, "obwohl" wir private Rechenschwächetherapeuten sind, folgendes unterstützt:
Schulische Diagnostik
und Förderung - dies macht übrigens Prävention gegen die "Krankheit"
Dyskalkulie/Rechenstörung überflüssig - sind vorrangig in den
Schulen als Lehrprinzip zu verankern. Das private Dyskalkulie-Therapiewesen
- jenseits von gut oder schlecht - wurde durch Implikationen des schulischen
Auslesesystems überhaupt erst als Erwerbsquelle ermöglicht. Daher
wird man sehen, inwieweit in Zukunft das private Dyskalkulietherapiewesen
zurückgehen wird oder nicht. Es hängt eben genau von der Verwirklichung
solcher Forderungen (s.o.) ab, ob private Dyskalkulietherapie überflüssig
wird oder nicht - aber eben nicht umgekehrt! Vielleicht werden die guten Therapeuten
später einmal in den Schulen arbeiten und vom Staat bezahlt werden. Dann
müssen die Eltern nicht mehr selbst zahlen - welch ein Segen!
Aber mal im Ernst, so wie Sie sich das vorstellen, wird es wohl nicht stattfinden,
denn ein staatliches Interesse an einer solchen Entwicklung sehen wir weit
und breit nirgendwo - noch nicht einmal als Wahlkampfargument in der Bildungspolitik.
Deshalb ist Ihr militanter Schul-Idealismus schädlich für die betroffenen
Kinder und einer vernünftigen Auseinandersetzung über die Kritik
der Schul-Misere abträglich. (siehe auch: Steeg 2000/ZDM, Steeg 2002/Homepage
des IFRK e.V., sowie Debatte mit Lorenz 1999/2000)
In Erwartung Ihrer kritischen Stellungnahme,
mit freundlichem Gruß
die privaten Rechenschwächetherapeuten des RESI-Volxheim
und des IML-Essen:
Friedrich H. Steeg, Dipl.Psych., Dr.rer.soz.
Jacqueline Vogel, Dipl.Päd.
Jutta Brettschneider, Dipl.Päd.
Gabriele Boerner, staatl. exam. Lehrerin Mathematik/Physik
Klaus Boerner, Dipl.Psych., Supervisor BDP
Cornelius Issels, Rechenschwächetherapeut
Literaturangaben:
Autorenkollektiv der Rechenschwächetherapeuten
Boerner, Boerner, Brettschneider, Spagl-Czerwinski, Steeg, Vogel
Rechenschwäche verstehen - Informationsschrift zum Phänomen Rechenschwäche
/ Dyskalkulie
http://www.rechenschwaecheinstitut-volxheim.de/resi.html
Betz, Dieter / Breuninger, Helga
Teufelskreis Lernstörungen. Theoretische Grundlegung und Standardprogramm.
München/Weinheim 1982, Beltz, ISBN 3-621-27167-8
Grissemann, Hans / Weber, Alfons
Grundlagen und Praxis der Dyskalkulietherapie. Bern 1990, Huber, ISBN 3-456-82777-6
Grissemann, Hans
Dyskalkulietherapie heute. Sonderpädagogische Integration auf dem Prüfstand.
Bern 1996, Huber, ISBN 3-456-82742-3
Lorenz, Jens Holger
Rezension von: Rolf Röhrig / Mathematik mangelhaft, Reinbek 1996. - In:
Grundschule (1997) H.3, S.67
Meyer, Stefan
Was sagst du zur Rechenschwäche, Sokrates? Luzern 1993, Edition SZH,
ISBN 3-908264-75-8
RESI-Volxheim und IML-Essen
Offener Brief an Professor J.H.Lorenz vom November 1999, im Internet zu finden
unter:
http://www.rechenschwaecheinstitut-volxheim.de/lorenz.html
Kritisierter Originaltext: "Einige Informationen zu Thema Rechenschwäche"
von J.H.Lorenz, unter:
http://www.ph-ludwigsburg.de/mathematik/personal/lorenz/littv.html
Außerdem der Originaltext der Entgegnung von Prof.Dr. Lorenz auf unseren
offenen Brief:
http://www.ph-ludwigsburg.de/mathematik/personal/lorenz/steeg.html
Außerdem unsere Antwort auf seine Entgegnung, ebenfalls unter:
http://www.rechenschwaecheinstitut-volxheim.de/lorenz.html
Röhrig, Rolf
Mathematik mangelhaft. Fehler entdecken, Ursachen erkennen, Lösungen
finden. Arithmasthenie/Dyskalkulie: Neue Wege beim Lernen. RoRoRo-Taschenbuchreihe:
Mit Kindern Leben. Reinbek 1996, Rowohlt ISBN 3-499-19725-1
Schipper, Wilhelm
Das Dyskalkulie-Syndrom. Der Artikel, der im "Offenen Brief" kritisiert
wird. In: Die Grundschulzeitschrift 158/2002, S.48-51
Steeg, Friedrich H.
Lernen und Auslese im Schulsystem am Beispiel der „Rechenschwäche“.
Ffm./Berlin/Bern/N.Y./Paris/Wien 1996, Peter-Lang-Verlag, ISBN 3-631-30731-4
http://www.resi-verlag.de/rezensio.htm
Steeg, Friedrich H.
Rechenschwäche: eine schulinduzierte Kognitionsstörung? Über
das nicht ganz zufällige Entstehen von Rechenschwäche aus dem Zusammentreffen
der Schülerindividuen mit quasi-mathematischem Ausleseunterricht in der
Grundschule. - In: ZDM Juniheft 3/2000,
http://www.rechenschwaecheinstitut-volxheim.de/zdm.html
Steeg, Friedrich H.
Mein Kind ist vielleicht rechenschwach - was nun ?
Elternratgeberartikel, erschienen im: KOGNOS-Handbuch: Erfolgreiche Elternarbeit
in der Schule. Augsburg 1999, Kognosverlag, http://www.rechenschwaecheinstitut-volxheim.de/eltern.html
Steeg, Friedrich H.
Rechenschwäche/Dyskalkulie: ärgerliches Nebenprodukt schulischer
Widersprüche. Was betroffene Eltern im Interesse ihrer Kinder bedenken
sollten. Volxheim 2002, Online-Parallelveröffentlichung zum "Abaküs(s)chen"
Nr.15, Frühjahr 2002, Mitgliederzeitschrift der "Initiative zur Förderung
Rechenschwacher Kinder e.V." - Inhaltsangabe und Linkinfo auf Seite 68.
http://www.rechenschwaecheinstitut-volxheim.de/ifrk.html
Thiel, Oliver
Rechenschwäche und Basisfunktionen. Wissenschaftliche Analyse empirischer
Untersuchungen zu Zusammenhängen zwischen Lernschwierigkeiten im Mathematikunterricht
und basalen Fähigkeiten des Menschen, mit einem Vorwort von Friedrich H.
Steeg. RESI-Verlag, Volxheim 2001 (Libri/BoD), ISBN 3-8311-2330-6Info unter:
http://www.resi-verlag.de/basisfu.htm
Die Reaktion
von Autor und Verlag: